Die kanaanäische Frau

Kanzelgruß: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen.
Amen

Der heutige Predigttext steht bei Matthäus im 15. Kapitel. Er ist schwer verdaulich, sperrig, irgendwie querlaufend. Doch hören wir selbst…

Predigttext

Nur zum Volke Israel ist er gekommen, sagt Jesus. Und wie als wenn er mal Urlaub machen will, geht er hinauf in die Gegend von Tyrus und Sidon. Gar nicht weit weg, nur eben mal quasi über die Grenze, raus aus seinem Zuständigkeitsbereich. Aber wie das so ist als bekannter Mann und vor allem Wunderheiler: Sein Ruf eilt ihm voraus. Eine Frau hört von ihm, rennt zu ihm hin und ergreift die einzige Chance, die das Schicksal ihr und ihrer Tochter bietet: Sie fleht Jesus an, ihr zu helfen. Nur leider hat sie einen Makel: Sie stammt aus eben nicht aus dem Volke Israel. Und der Gesandte Gottes, der schon vorher die Fünftausend gespeist (hat er da auch nach Zugehörigkeit gefragt???) und der viele Gleichnisse erzählt hatte, dieser Jesus, der wird plötzlich arrogant und antwortet dieser verzweifelten Frau noch nicht einmal.

Die Jünger raten ihm, sie gehen zu lassen, sie fortzuschicken, denn ihnen war es unangenehm, wahrscheinlich schauten sich die Leute schon um nach der Frau, die sich verzweifelt an den Strohhalm der Hilfe klammert und dem Jesus, den das nicht zu interessieren schien.

Ich muß ganz ehrlich sagen: Diese Frau fasziniert mich! Sie ist eben eine echte Mutter. Ihre Tochter wird von einem bösen Geist geplagt, sicher hat sie schon alles unternommen, was man nur tun kann, um ihrer Tochter zu helfen. Nichts hat gefruchtet. Und jetzt wird sie wohl gehört haben, daß es da einen Menschen geben soll, der schon einige Wunder getan hat, auch Heilungen von unheilbar Kranken werden erzählt. Ich kann mir richtig vorstellen, wie sie sich auf den Weg macht, um diese allerletzte Möglichkeit wahrzunehmen. Lang und beschwerlich muß der Weg gewesen sein, denn die Tochter scheint nicht dabei zu sein, sie hat sie vorsorglich zu Hause gelassen. Sie fordert Jesus ja nicht auf: „Komm in mein Haus und heile meine Tochter“, nein: Sie bittet Jesus, sich Ihrer (und somit auch der Tochter) zu erbarmen.

Und sie gibt einfach nicht auf. Die arrogante „Nichtbeachtung“ durch Jesus beantwortet sie nur mit größerem Schreien. Sie wird diesen Jesus, von dem sie weiß, daß er der Messias ist, nicht einfach so vorbei ziehen lassen.

Da läßt sich Jesus herab und gibt ihr eine Antwort. Aber was für eine! Er sagt ihr nichts anderes als: „Pech gehabt, zu Dir bin ich nicht gesandt“. Eine schallende Ohrfeige. Nur weil sie auf der anderen Seite der Grenze lebt, soll ihrer Tochter nicht geholfen werden? Nein, daß kann sie nicht glauben. Sie erniedrigt sich vor ihm und fällt vor ihm nieder: „Herr, hilf mir!“.

Jetzt kommt es aber noch dicker von Jesus: Er vergleicht sie mit einem Hund! Er sagt, daß er quasi denen, zu denen er gesandt ist, etwas wegnehmen würde, wenn er ihr hülfe. Aber warum? Jesus hat doch nicht eine festgelegte Zahl an Wundern im Gepäck so wie ein Zauberer oder Scharlatan. Er ist doch der Sohn Davids, der Messias.

Jetzt ändert die Frau ihre Taktik und packt ihn bei seiner Ehre und seiner Aufgabe. Sie begehrt auf. Sicher, er hat vielleicht den Auftrag, das Volk Israel zu erretten, aber trotzdem muß er doch auch im „Randgebiet“, bei denen die nicht dazugehören, helfen, Wunder tun, retten!

Denn wie hieß es vorhin in der Epistellesung? „Wenn Du mit deinem Munde bekennst, daß Jesus der Herr ist…“ (Hat die Frau getan: Sie hat ihn mit „Herr, du Sohn Davids“ angeredet) „So wirst Du errettet werden. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht.“ Und weiter heißt es: „Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen, es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen.“

Das ist doch klar formuliert: Wer glaubt, wird gerecht, wer bekennt, wird errettet, es gibt keine Unterschiede. Warum läßt sich Jesus also so lange bitten? Sicher, Jesus ist kein Automat. Aber sein Verhalten scheint uns wirklich skandalös. Man möchte sich für Jesus entschuldigen bei der Frau.

Doch schauen wir einmal genauer hin. Warum ist er überhaupt „rübergekommen“? Warum überschreitet Jesus die Grenze, nur um sie wieder aufzubauen, sogar noch festzuzementieren? Kam er vielleicht nur ihretwegen über die Grenze? War er vielleicht genau auf dem Weg zu ihr? Sie, die sicher schon etliche Male zu Gott gebetet hat über ihre kranke Tochter. Ich denke, er war zu ihr gesandt.

Und der Vergleich mit einem Hund bedeutet vielleicht gar keine Beleidigung, sondern stellt das Leben dieser Frau dar: Das Hundeleben, daß sie führt, am Rande der Gesellschaft. Von daher weiß sie, wie es ist, wenn man sich nur von den Brosamen ernährt, die vom Tisch der hohen Herren fallen. Und sie weiß, daß diese Herren immer noch genug zu essen haben, auch wenn etwas für die kleinen Leute „abfällt“.

Das Ganze ist ein Test von Jesus: Durch ihre Deutung seiner Worte zeigt sie ihren tiefen Glauben. Denn sie hat genau das vor den Herrn gebracht, was ihr eigentliches Problem ist: sie lebt in einer Dunkelheit, die sie bedrückt, belastet. Dazu kommt eben die Krankheit der Tochter. Oder ist diese vielleicht der Grund dafür? Auf alle Fälle gibt sie jetzt eben nicht mehr auf: Sie hat schon zu viel eingesteckt, sie läßt sich nicht mehr unterkriegen, jetzt nicht mehr, jetzt bricht sie die Grenze, mit der sie sich bisher eingemauert hat, auf, denn jemand hat diese Grenze in ihre Richtung schon überschritten: Jesus. Dadurch fällt ihre ganze Last und Dunkelheit von ihr ab. Sie hat den „Test“ bestanden: Sie hat sich freigemacht von ihren Grenzen und mehr erreicht, als sie ursprünglich wollte: Ja, ihre Tochter ist gesund, das ist wichtig, aber sie hat sich auch selbst durchgekämpft zu Jesus.

Jesus lobt den Glauben der Frau. In Israel muß er ja oft genug den Unglauben der Mitglieder des „Volkes Israel“ tadeln. Aber diese Frau, die gar nicht im engeren Sinne zum Volk Israel gehört, die hat ihn und seine Botschaft besser verstanden, als manche, die sich auserwählt fühlen dürfen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und unsere Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn.

Amen

(c) Jens-Erik Paul 1999